Joram sitzt an einem Rechner und hält einen Vortrag zur Webcam. Auf dem Bild hinter ihm sind Lottozahlen und die Worte "I got Lucky"
Ich, wie ich einen Vortrag per Stream halte. (Foto: Wiebke Skeffington)

Privilegien und Glück in der Karriere

Ich hatte heute die Freude, an der HU Berlin einen Vortrag für eine Gruppe an Studierenden über mich, meine Karriere und meine Arbeit als Wissenschaftskommunikator zu halten. Aufgrund des COVID-19 Ausbruchs war es nötig, den Vortrag per Webstream an die Studierenden zuhause zu verteilen. Das ging auch weitestgehend glatt und war eine gute Erfahrung – und vor allem besser als eine Verbreitung des Virus in Kauf zu nehmen. 

In den meisten Karrieretalks werden die Stationen der Protagonist*innen abgeklappert und am Ende werden ein paar Fragen gestellt. Ich habe mich dabei immer gefragt, was passieren würde, hätte ich exakt die gleichen Entscheidungen getroffen wie die vortragende Person. Wäre ich dann auch dort angekommen, wo sie jetzt ist? Die Antwort ist sicherlich nein. 

Deswegen habe ich mich dazu entschlossen in meinem kurzen Vortrag zwei mir wichtige Aspekte einzubringen: Glück und Privilegien. Denn ohne beides würde ich heute ganz woanders sein. 

Glück spielte immer und immer wieder eine bedeutende Rolle. Meine Stelle als Doktorand hatte ich der glücklichen Fügung zu verdanken, dass gerade die Fördermittel eintrudelten, als ich meine Diplomarbeit abgeschlossen hatte. Anders als meine Kolleg*innen musste ich keinen mehrstufigen Auswahlprozess durchlaufen, eine einfache Bewerbung genügte. Und auch im Nachgang hatte ich Glück: mein Betreuer wurde auch ein guter Freund, generell machte ich viele gute Bekanntschaften in der Zeit. Das ist zum Glück auch bei anderen Doktoranden nicht selten, aber bei weitem nicht die Norm. Viele von ihnen sind gezwungenermaßen Einzelkämpfer*innen, denn sie können nicht auf ein Support-Netzwerk im Kolleg*innenkreis bauen. Im schlimmsten Fall müssen sie sich sogar gegen Mobbing durchsetzen.

Natürlich gehört auch Unglück zur Arbeit, mein Projekt lief nicht toll, ich hatte wenig Aussichten auf eine Publikation, aber Unglück kann man mit den eigenen Fähigkeiten abfangen. Ich konnte auf die unglücklichen Fügungen reagieren und so schlimmeres verhindern oder sogar daran wachsen. Auf fehlendes Glück hingegen kann man nicht reagieren. Man kann noch so gut ausgebildet sein, wenn es an Glück mangelt, kann man einfach nicht den nächsten Schritt tun. 

Es kann natürlich auch an der eigenen Hautfarbe liegen. Oder dem Geschlecht. Oder der Nationalität. Ich bin privilegiert, denn ich bin weiß in einer vornehmlich von Weißen dominierten Gesellschaft, ich bin Mann in einer patriarchal geprägten Gesellschaft und ich spreche Deutsch und Englisch, die Sprachen der Entscheidungsträger*innen in meinem Land. Wenn ich mich im sozialen Kontext bewege, dann tue ich das auf der einfachsten Schwierigkeitsstufe. Wenn ich spreche hört man mir zu, und man redet sogar mit mir Deutsch obwohl Menschen am Tisch sitzen, die die Sprache nicht verstehen. Ich gehöre dazu.

Auch wenn ich nicht die exakten Momente beschreiben kann, so bin ich doch sicher, dass diese Privilegien mir geholfen haben, oder sie standen mir zumindest nicht im Weg. Ich hatte manchmal den Eindruck, Kolleg*innen aus anderen Ländern mussten doppelt so hart arbeiten, um die gleiche Wertschätzung zu erfahren, die mir entgegengebracht wurde. 

Mit all diesen Ausführungen möchte ich nicht meine eigenen Leistungen kleinreden. Ich bin stolz auf das was ich erreicht habe, die Projekte an denen ich beteiligt war und die Ergebnisse, die ich erzielt habe. Ich finde es aber extrem wichtig, sich diese Faktoren – Glück und Privilegien – immer wieder bewusst zu machen. Unsere Taten definieren wer wir sind, aber sie sind es nicht allein, die entscheiden wo wir im gesellschaftlichen Gefüge stehen.

Deswegen möchte ich dazu anregen, dass auch Ihr Euch diese Gedanken macht, wenn Ihr vor jungen Menschen über Eure Karriere sprecht. Denn sonst seid Ihr wie Lottogewinner*innen, die anderen von ihren getippten Zahlen erzählen und sagen "Ihr müsst nur diese Zahlen tippen und dann seid auch Ihr Millionäre!" Ihr braucht nicht Eure Leistungen leugnen, aber seid so fair und sprecht an, wo Ihr Glück hattet und wo Euch Eure Privilegien geholfen haben. 

Wie seht Ihr das? Sollten wir Privilegien und Glück mehr Raum in den Erzählungen von unserer Karriere geben? Schreibt mir bei twitter! Dort findet Ihr mich unter @sciencejoram

Joram Schwartzmann

Joram Schwartzmann ist Wissenschaftskommunikator aus Berlin. Er beschäftigt sich mit Pflanzenbiologie und Forschungskommunikation.